Drei Etappen des Sahara Race in Namibia hatte ich gut hinter mich gebracht, am vierten Tag standen 81 Kilometer in sengender Hitze auf dem Programm.
Ausgerechnet am langen Marsch, der gut 80 Kilometer langen vierten Etappe, kommt der Wind nicht kühl vom Atlantik her, sondern aus dem Landesinneren: heiß und irre stark als Gegenwind, von 50 Stundenkilometern ist die Rede. Bei Temperaturen bis zu 45 Grad und ebenso heißem Gegenwind kommen viele an ihre Grenzen. An den Checkpoints liegen Läufer, auch Topläufer, und können erstmal nicht weiter.
Martina und ich haben am Vortag beschlossen, dass wir heute zusammen bleiben. Angesichts der Bedingungen marschieren wir zügig, anstatt uns laufend dem Wind entgegenzustemmen. Eine gute Entscheidung, wie sich später zeigen wird. Ebenso richtig war es, das wird mir an diesem Tag sehr klar, dass ich in den ersten drei Etappen langsamer unterwegs war, als ich gekonnt hätte, mir meine Kräfte im Hinblick auf den langen Marsch gut einzuteilen.
Mir geht an diesem Tag zum ersten Mal das Wasser aus. Zwischen Checkpoint 2 und 3 habe ich den ersten wirklichen Tiefpunkt des Rennens. Mir ist ein bisschen schlecht, ich vertrage die Hitze nicht gut, habe kaum noch Wasser. Der Zustand ist zu ertragen, mich quält aber die Ungewissheit, ob es schlimmer werden wird. Doch es geht, nach dem nächsten Checkpoint habe ich mich wieder gefangen. Hier wartet eine Überraschung auf uns: Jeder bekommt eine Dose Limonade. Eine warme, zuckersüße Limonade ist plötzlich so ziemlich das leckerste, was ich mir vorstellen kann, erscheint mir wie ein Geschenk des Himmels.
Etwa bei der Hälfte der Strecke, also ca. nach der Marathondistanz, gibt es am vierten Checkpoint die Möglichkeit, sich in einem Zelt etwas auszuruhen, viele liegen hier und schlafen etwas, warten auf die Kühle des Abends. Manch einer sitzt hier und starrt mit glasigen Augen in die Leere. Martina und ich essen nur etwas, füllen die Flaschen auf, ich tausche die Brille, um mich für die bald einsetzende Dunkelheit zu rüsten, dann machen wir uns wieder auf den Weg. Bald brauchen wir die Stirnlampe und unser rotes Rückenlicht, es wird dunkel und endlich kühl. Mir kommt es nach der Hitze des Tages jedenfalls angenehm kühl vor, am nächsten Checkpoint werde ich lachend aufgeklärt, dass es noch etwa 30 Grad sind…
Der Weg ist nun eintönig, damit im Dunkeln niemand verloren geht, folgen wir einem Fahrweg, der jedoch immer wieder durch schlecht zu laufenden Kies führt und die inzwischen arg geschundenen Füße zusätzlich quält: Jeder Schritt schmerzt, zu den blauen Zehennägeln und Blasen an den Zehen haben sich im Laufe des Tages große Blasen unter den Füßen und an den Fersen gesellt. Durch die Gamaschen kommt bei der Hitze einfach nicht genug Luft an die Füße.
An einem der folgenden Checkpoints überrascht uns die Nachricht, dass vor uns erst 21 Läufer durch sind – und dass, obwohl wir den ganzen Tag über nicht gelaufen, sondern nur zügig marschiert sind. Heute war es wirklich wichtig, sich seine Kräfte gut einzuteilen. Entscheidend ist nun aber der Kopf: Ich bin mitten in der entscheidenden Etappe des Wüstenlaufs, auf den ich so lange hingearbeitet, auf den ich mich so gefreut habe. Es war klar, dass es hart wird, da muss ich jetzt durch. Weil ich es will. Immer wieder sage ich mir auf den sich endlos ziehenden Kilometern: „You are stronger than you think“. Niemals denke ich ans Aufgeben. Die Schmerzen an den Füßen sind irgendwann vergleichbar mit denen beim Tierra Arctic Ultra, den 125 Kilometern durch Nord-Schweden; das heißt aber auch, dass ich das kenne und schon einmal überwunden habe. Solche Ultra-Erfahrungen zahlen sich hier definitiv aus.
Nach quälend langen 16,5 Stunden erreichen wir das Lager. Von Rafael erfahren wir, dass der lange Marsch in all seinen Wüstenrennen der letzten zehn Jahre noch nie so hart war. 15 Läufer sind an diesem Tag ausgeschieden.
Ruhe,braunes Wasser, Schmerzen in den Dünen
Der nächste Tag ist für uns ein Ruhetag, da bis morgens noch Finisher der langen Etappe im Ziel ankommen. Das sind unglaublich bewegende Momente, wir stehen an der Ziellinie, bejubeln diese Kämpfer, die bis jetzt da draußen unterwegs waren. Steffen aus dem Little Desert Runners Club, dem es so schlecht ging auf dieser Etappe, ist auch dabei, mir kommen die Tränen, als er ins Ziel kommt. Ich bewundere die Kraft dieser Läufer, die kurz vor dem Cut Off morgens ins Ziel kommen, kaum mehr gehen können, die so sehr leiden, aber es schaffen.
Wirkliche Erholung bringt der Ruhetag nicht. Es ist hier im Landesinnern so heiß, dass ich nicht im Zelt liegen kann, draußen in der Sonne geht es erst recht nicht, wir drängeln uns unter einer vom Veranstalter aufgestellten Zeltplane, die etwas Schatten spendet. Als um 14 Uhr das Medical Tent öffnet, wird es regelrecht belagert, nahezu alle Läufer müssen sich ihre Füße inzwischen versorgen lassen. Etwa eine halbe Stunde lang bastelt eine junge Ärztin mit Nadeln und Tapes an meinen Füßen herum, um mir die Etappe am Folgetag erträglicher zu machen.
Unser großes Highlight am Ruhetag: Wer will, bekommt von einem Helfer einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf geschüttet: glückliches Geschrei überall, es ist herrlich. Nach inzwischen 200 Kilometern Wüstenlauf ohne Dusche ist das Wasser, das aus meinen Haaren tropft,übrigens braun…
In traumhafter Dünenlandschaft
Am nächsten Tag geht es auf der letzten langen Etappe dieses Rennens 40 Kilometer durch traumhafte Dünen-Landschaften. Obwohl ich mich auf diese großen Dünen mit am meisten gefreut hatte, fällt mir die Etappe schwer. Trotzdem: ein Traum! Nach dem zweiten Checkpoint steigen wir auf den Kamm einer riesigen, endlosen Düne und bleiben etwa 10 Kilometer dort oben. Teilweise geht es richtig steil bergab neben uns. Wunderschön ist es – aber auch sehr, sehr anstrengend, und jedes Mal, wenn ich im Sand etwas nach unten rutsche, habe ich das Gefühl, es reißt mir die Haut von den Fußsohlen.
Sehr langsam komme ich heute nur vom Fleck, neben den Füßen schmerzt der Rücken, sechs Nächte auf harter Isomatte und das Laufen mit zumindest anfangs schwerem Rucksack machen sich bemerkbar. Zwei Frauen, die im Gesamtklassement hinter mir liegen, überholen mich heute. Zum Glück habe ich genügend Vorsprung, um meinen 6. Platz zu halten, deshalb stresst mich das nicht so. Und überhaupt, was sind das plötzlich für Gedanken: Ich bin mit dem Ziel hierherzukommen, den Lauf zu finishen, und nun denke ich, einfach weil es so überraschend gut gelaufen ist, über Platzierungen nach. Seltsam, aber vielleicht auch normal.
Irgendwann oben auf der Düne wird mir plötzlich klar, dass ich mit übergroßer Sicherheit dieses Rennen tatsächlich finishen werde: Heute noch ca. 12 Kilometer, morgen die 10 Kilometer kurze Schlussetappe: das schaffe ich, egal wie. Von dieser Gewissheit durchzuckt stehe ich oben auf der Düne, inmitten dieser traumhaften Landschaft – und weine. Weine einfach und höre eine Weile nicht mehr auf. Und selbst später, als ich im Flugzeug zwischen Windhoek und Doha erste Notizen für diesen Bericht mache, kommen mir beim Gedanken daran wieder die Tränen. Ein Wüstenlauf bedeutet auch große Emotionen.
Im letzten Camp in Torro Bay kann ich der Versuchung nicht widerstehen, ins Meer zu gehen. Damit gebe ich meinen Füßen wahrscheinlich den Rest, die starke Brandung spült mir Sand in die großen Blasen unter den Füßen, den ich erst nach dem Rennen recht schmerzhaft wieder herausbekomme. Wieder was gelernt fürs nächste Mal… Unser Camp ist an einem offiziellen Campingplatz, daher gibt es, etwas unerwartet, Duschen. Naja, Rinnsale, aber ich stelle mich trotzdem runter und spüle schon einmal ein bisschen Dreck der letzten Woche ab. Und stelle fest, dass es irgendwie auch egal ist. Überhaupt überrascht es mich während der ganzen Woche, wie leicht es ist, auf ziemlich vieles zu verzichten. Kein Telefon und kein Internet – eine ziemliche Befreiung, um ehrlich zu sein. Das Leben ist einfach und unkompliziert: Laufen, Essen, Reden, Schlafen. Mir fehlt nichts.
Die letzte Etappe!!!!
Und dann ist es plötzlich Samstag, der letzte Tag, die letzte, nur 10 Kilometer kurze Etappe steht an. Einige sehr langsame Läufer werden eine halbe Stunden früher auf den Weg geschickt, um halb neun starten wir. Meine Füße tun irre weh, trotzdem lässt mein Kopf mich laufen, ich bin dem Ziel so nahe. Wie stark du bist, wenn du etwas wirklich willst, von Herzen willst. Zum ersten Mal in dieser Woche nutze ich die GPS-Funktion meiner Uhr, das hatte ich bisher nicht gemacht, um Strom zu sparen. Und so kann ich genau verfolgen, wie weit ich bin, realisiere mit jedem Schritt, dass ich es gleich geschafft habe.
Vor der letzten Düne wird bereits unsere Zeit erfasst. Dann geht es nur noch diese eine Düne hoch, angefeuert von den wunderbaren Volunteers, die uns eine Woche lang so unglaublich unterstützt haben. Tränen steigen mir in die Augen, schon wieder. Oben angekommen sehe ich das Ziel, werde begeistert angefeuert, schreie, laufe oder stolpere die letzten Meter die Düne hinunter – und bin Finisherin des Sahara Race in Namibia 2017. Dolfen, der mir die Medaille um den Hals hängt, falle ich schluchzend um den Hals. Stehe danach wie benommen da und merke, dass ich fotografiert werde, sollte doch glücklich lachend meine Medaille in die Kamera halten – und bin unfähig dazu, stehe da und weine einfach nur. Strahlende Finisherfotos kann ich erst später machen.
Dann kommt Kirsten, die grandiose Gesamtsiegerin und gratuliert mir, dann schleiche ich weiter und finde Rafael, dem ich das alles hier zu verdanken habe; falle ihm in die Arme und weine weiter. Irgendwann bringe ich ein „Danke“ heraus. Ich bin nicht die einzige, die gerade gar nicht genau weiß, was mit ihr passiert und wohin mit all den Emotionen. Martina, meine liebe Laufpartnerin, mit der ich viele Kilometer dieses Rennens gemeinsam gelaufen bin, sitzt einfach nur allein in der Düne und weint vor sich hin.
Ich brauche eine Weile, um zu realisieren, was ich da geschafft habe. Mein Kopf ist so voll, dass es mir in den nächsten Tagen, in denen ich mit Kirsten im Etosha Nationalpark bin, manchmal alles zu viel wird. Zu viele Eindrücke, in mir ist kein Platz mehr dafür.
Die Wüste lehrt dich Demut; du lernst, am Ende gewinnt die Natur, sie ist gewaltiger als du. Aber vielleicht darfst du eine Weile lang Teil dieser grandiosen, mächtigen und übermächtig schönen Natur sein. Wenn das so ist, sei dankbar dafür. Wenn du dir eine solche Landschaft erläufst, bekommt sie eine vollkommen andere Bedeutung, als wenn du nur hindurchfährst. Dieser Lauf durch die Namib war das intensivste und grandioseste Lauf-Abenteuer, das ich bisher erleben durfte und ich bin unendlich dankbar.
Noch ein paar Dankesworte
Rafael Fuchsgruber habe ich mehr zu verdanken, als ich hier vernünftig formulieren kann. Er weiß es, also muss ich hier nicht mehr schreiben.
Den anderen Verrückten des Little Desert Runners Club möchte ich für eine wunderbare gemeinsame Zeit danken (besonders Martina: es war mir ein Fest, mit Dir zu laufen!), ebenso wie den vielen Läuferinnen und Läufern und vor allem auch den Organisatoren und Volunteers aus allen möglichen Ländern, die diese Woche in der ältesten Wüste der Welt zu dem gemacht haben, was sie war. Die Helfer haben uns wirklich unglaublich unterstützt. Es war jedes Mal so schön, zu den Checkpoints zu kommen und schon von weitem ihre Rufe zu hören. Irgendwann möchte ich das zurückgeben, werde sicherlich auch in der Zukunft mal als Volunteer dabei sein. Außerdem war es so wunderbar, von den namibischen Helferinnen und Helfern umsorgt zu werden im Camp.
Ein solches Wüstenabenteuer ist teuer und ich bin sehr froh, dass mich einige Firmen unterstützt haben:
Danke wieder einmal an ASICS für die Laufausrüstung.
Sziols Sportsglasses hat mich für dieses Rennen mit der X Ped ausgerüstet, das war ein echter Glücksgriff, meine Augen waren vor Sonne, Sand und Wind zuverlässig geschützt. Die Nachtetappe bin ich mit meiner gewohnten X-Kross gelaufen.
Adventure Food hat mich mit leckerer Treckingnahrung für die gesamte Woche versorgt, dafür danke ich ganz herzlich!
Mein rotes Rückenlicht, das ich in der Nachtetappe brauchte, hat mir Orbiloc – The Safety Light zur Verfügung gestellt, danke dafür!
Relaxroll hat mich mit einem Set Faszienrollen in der Vorbereitung versorgt, die AchillX hatte ich sogar mit in der Wüste.
Und über Rafael haben wir bei folgenden Firmen Vergünstigungen bekommen, für die ich sehr dankbar bin:
(Fotos: privat, Jerry Jeschka, 4Deserts/Onni Cao)