Vor dem Wind war ich gewarnt worden, gleich mehrfach. Ich wurde gefragt, warum ich denn bloß dort oben an der Nordsee laufe und nicht in Wien. Aber was soll ich sagen? Der Cuxhaven Marathon war einfach wunderbar!
Ein schönes Event und dann auch noch mit einem Happy End für mich ganz persönlich, das war der Cuxhaven Marathon. Schon seit Monaten stand es fest, dass ich am 10. April einen Marathon laufen würde. Nachdem ich bei Laufcampus eine weitere Trainerausbildung gemacht hatte und nun Trainingspläne schreiben kann, wollte ich es wissen: Ich habe mir einen eigenen Trainingsplan geschrieben, wollte sehen, ob ich damit (ich, die ich sonst nicht nach Plan trainiere) die 3:45 Stunden knacken kann.
Dann kam alles anders. Zunächst habe mich gegen den ursprünglich geplanten 261 Womens´ Marathon in Palma de Mallorca entschieden und die Flüge storniert. Cuxhaven sollte es werden, dies vor allem auch deshalb, weil meine Tante und mein Onkel dort wohnen. Das war die selbstbestimmte Planänderung.
Weniger Einfluss hatte ich darauf, dass ich kaum nach Plan trainieren konnte, da ich, nachdem ich das gesamte Jahr 2015 nicht einen einzigen Schnupfen hatte, plötzlich krank wurde. Eine wirklich starke Erkältung hat mir nicht nur die Woche Trailrunning in Israel mit meinen ASICS Frontrunner-Kollegen verdorben, sondern auch die heiße Phase des Marathontrainings auf ein paar lockere Läufchen schrumpfen lassen.
Ich war ein bisschen enttäuscht, Projekt Bestzeit dahin, außerdem hatte ich gesehen, dass in Cuxhaven die allermeisten Läuferinnen und Läufer über die kürzeren Distanzen starten: 30 km, Halbmarathon, 10 und 5 km sind hier ebenfalls im Angebot. Die wenigsten laufen hier vier Runden, erst recht wenige Frauen. Ich hatte also gaaaanz heimlich mit einem Podiumsplatz geliebäugelt.
Aber gut, am Ende war ich dankbar, dass ich rechtzeitig wieder gesund war, habe in der Woche vor dem Lauf absolute Ruhe gemacht (ich hatte am Samstag vorher beim Trailrun in Dießen gemerkt, dass ich mich noch ein bisschen unfit fühle), mich gesund ernährt, ganz viel Rote Beete Saft getrunken. Ich wollte fit in Cuxhaven am Start stehen und das Beste aus der Situation machen.
Schon am Vortag wurde ich viel optimistischer. Ich bin einfach so gern da oben: das Meer, diese Weite, die Luft, der Wind bläst den Kopf frei – herrlich!
Streckencheck: Von der Innenstadt aus sehr bald über den Deich (ja, Höhenmeter!), am Wasser entlang, Richtung Kugelbake, dann mit Blick auf das Wattenmeer und den Sandstrand bis zum Strandhaus Döse und auf der anderen Seite vom Deich wieder zurück. Wunderbar! Ok, das ganze viermal, aber damit würde ich schon klarkommen.
Zum Thema Wind: Erst am Vortrag wird beim Cuxhaven Marathon entschieden, in welche Richtung diese Runde gelaufen wird, und zwar abhängig davon, woher am Wettkampftag der Wind wehen soll. Ostwind war angesagt und so ging es zuerst am Wasser entlang (mit Rückenwind), und der Gegenwind sollte ein wenig vom Deich abgefangen und dadurch nicht zu heftig werden. Hat auch oft geklappt, manchmal nicht so….
Noch etwas war anders als sonst – forget Pasta Party. Diese habe ich sausen lassen und am Abend vor dem Marathon bei meiner Tante und meinem Onkel und gemeinsam mit meinem Freund und meinen Eltern, die auch noch angereist sind, so unendlich viel Fisch in allen Variationen mit Kartoffelsalat gegessen, und ich habe mich so gut gefühlt – ich weiß nicht, ob ich jemals wieder etwas anderes haben möchte…
Der Renntag startet entspannt. Keine Hektik, kein Gedränge, einfach eine lockere Stimmung. Mein Onkel ist an diesem Wochenende mein Manager und Trainer zugleich und versorgt mich vor dem Start. Nach diversen Kinderläufen starten bis auf die 5 km alle Läufe zusammen. Um 10.30 Uhr werden wir vom Oberbürgermeister und vom Sprecher, der sonst Stadionsprecher bei Werder Bremen ist, auf die Strecke geschickt. Auch hier kein Gedränge und Geschiebe, obwohl sich fast 1400 Läuferinnen und Läufer auf den Weg machen.
Mir geht es gut, ich trabe los, bald laufe ich etwas schneller als gedacht. Die Meeresluft, der schöne Blick – wer weiß, warum? Ein Grund ist sicherlich, dass ich rasch merke, dass es trotz des Formverlusts gar nicht ausgeschlossen ist, hier aufs Treppchen zu laufen. An den Farben der Startnummern kann man erkennen, wer in welche Wettbewerb unterwegs ist. An den beiden Wendepunkten kann ich also schauen, welche Frauen im Marathon vor mir liegen. Nicht viele…
Ich gebe Gas (für meine Verhältnisse). Die Verpflegung ist gut und ausreichend und von sehr netten Helfern und Kindern bekommen wir unsere Getränke und bei Bedarf auch Obst. Es läuft gut, ich fühle mich super, nach der ersten von vier Runden bin ich sogar für einen kurzen Moment erste Frau. Das geht jedoch schnell vorbei, es war klar, dass ich dieses Tempo nicht halten würde.
(Foto: Foto-Team Müller)
Ich falle auf den zweiten, etwa bei Kilometer 17 auf den dritten Rang zurück. Ungefähr hier fängt es auch an, weh zu tun. Oh je, das wird anstrengend. Und zwar lange. Kurz frage ich mich, ob ich mit dem Tempo zu unvernünftig war angesichts der vielen ausgefallenen langen Trainingsläufe. Aber schnell fasse ich wieder Mut. Hey, ich liege auf dem dritten Platz, den gebe ich nicht mehr her, jetzt muss ich kämpfen.
Eine Runde später nimmt auf dem Rückweg Richtung Innenstadt trotz des Deiches der Gegenwind zu. Das macht es nicht leichter. Eine Weile unterhalte ich mich mit einem anderen Läufer, wir schwärmen beide vom New York Marathon, hatten beide Tränen in den Augen bei Sinatras „New York, New York“ am Start.
Aber Moment, jetzt bin ich in Cuxhaven, ich habe Gegenwind, es ist furchtbar anstrengend, ich liege auf dem dritten Platz und ich werde immer langsamer – hör auf zu quasseln, sage ich mir. Und lasse ihn ziehen. Inzwischen ist mir mein Freund, der um 13 Uhr über die 5 km gestartet ist (und Zweiter in seiner Altersklasse wurde!) zweimal entgegen gekommen ….
… und ich bin auf die vierte Runde eingebogen.
Noch eine Runde, los geht es! Schau auf das Meer und freu Dich! Dann schaue ich aber lieber nach vorn und merke, dass die an zweiter Position laufende Frau auch kämpfen muss. Sie kommt mir immer näher bzw. ich ihr. Das weckt noch einmal so richtig meinen Ehrgeiz. Es ist unglaublich, was der Kopf alles kann, wenn der Körper eigentlich schon müde ist. Wie ein Mantra sage ich mir, dass ich das kann. Schritt für Schritt kämpfe ich mich an sie heran. Schaffe es auch, bin mit ihr gleichauf. Sie versucht, dagegenzuhalten, aber irgendwoher nehme ich genug Kraft, in dem Moment noch einmal zu beschleunigen. Und hänge sie ab.
Ich bin ziemlich k.o., muss das Tempo auch rasch wieder rausnehmen, aber ich bin an ihr vorbei. Wow, wenn ich das jetzt halte, diese letzten knapp fünf Kilometer lang, dann beende ich diesen Marathon tatsächlich als zweite Frau! Trotz dieses Ansporns verlassen mich die Kräfte, die letzten drei Kilometer sind langsamer, das ist wohl zu langsam für die Bestzeit… Aber die hatte ich ja ohnehin abgeschrieben, schon lange vor dem Lauf.
Am Ende laufe ich nach 3:47:47 (netto) Stunden ins Ziel. Ich bin zweite Frau, weniger als eine Minute hinter der Siegerin. Und – ich habe meine Marathon-Bestzeit doch noch um fünf Sekunden unterboten. Unglaublich. Ich bin froh und happy. Damit hatte ich nach den letzten Wochen nicht gerechnet. Plötzlich lief doch alles gut, auch wenn es hart war.
Ungläubig lasse ich mir im Ziel berichten, dass während meiner letzten Runde ein Linienbus durch die Absperrung und dann durch den Zielbogen gefahren ist. Der Zielbogen drohte umzukippen. Unglaublich, da hatte wohl eine Busfahrerin zu viel frische Nordseeluft?
(aus den Cuxhavener Nachrichten)
Die Zeit bis zur Siegerehrung vergeht schnell, es gibt gute Verpflegung und unter den Läufern herrscht eine extrem nette Stimmung. Die Siegerin und ich umarmen uns herzlich, die Dritte kommt zu mir und gratuliert dazu, dass ich sie noch eingeholt habe.
Ich weiß, hier wurden keine schnellen Zeiten gelaufen, die schnellen Läuferinnen waren in Hannover oder Wien oder beim Training – ich bin trotzdem froh und sehr stolz, dass ich diese Zeit und diesen zweiten Platz trotz Trainingsrückstands geschafft habe.
Am Abend gab es eine kleine Familienfeier und – wieder Fisch. Das hat sich schließlich bewährt. Und schon jetzt habe ich einen Termin für den 9. April 2017: Da laufe ich den Cuxhaven Marathon!