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Cape Wrath Ultra: die Reise geht weiter

von | Aug 28, 2023 | Allgemein, Wettkämpfe | 0 Kommentare

Drei Etappen und gut 160 Kilometer, viele Höhenmeter und unglaublich viele Schlammlöcher habe ich also hinter mir beim Cape Wrath Ultra, als ich am Morgen des vierten Tages mit fetten Blasen am Eingang des Ärztezeltes stehe, übermüdet und etwas verzagt.

Ich habe häufig bei Etappenrennen mit Blasen zu kämpfen, sonst aber nicht so früh und so schlimm, es hat meinen Füßen offensichtlich nicht gut getan, dass sie die letzten beiden Tage auf den so langen Etappen permanent nass waren. Am Ende der langen dritten Etappe habe ich mir den Schmerz mit einem Mantra innerlich weggesungen, aber wie lange kann ich das, frage ich mich, während die Ärztin sticht und schneidet und Tape um meine Zehen und Füße bindet. Bei meinen kleinen Zehen schneidet sie die Haut vorne ganz ab, sonst seien die Blasen gleich wieder da, sagt sie. Es werde weh tun auf den nächsten Etappen, sagt sie. Und ab jetzt solle ich bitte unbedingt immer schon abends meine Füße versorgen, damit sie über Nacht etwas heilen können.

Es tut weh, als wir loslaufen. Wir laufen durch Schlamm und Pfützen und ich male mir aus, was nun alles in meine offenen Zehen gelangt. Kein gutes Kopfkino. Als wir am ersten großen Anstieg sind, nehmen Regen und Wind an Fahrt auf, es wird kalt, schnell die Regenjacke und Handschuhe anziehen. Es ist steil, nass und kalt und da bei jedem meiner Schritte meine Füße weh tun, werde ich weinerlich. Sehr weinerlich. Mich sieht und hört in dem Sturm hier eh niemand, also heule ich Rotz und Wasser, während ich da hoch klettere. Als Ian, den ich vom Etappenrennen in Australien vor ein paar Jahren kenne, mich überholt (die schnellen Läuferinnen und Läufer starten später), feiert er mich dafür, dass ich die Etappe am Vortrag geschafft habe. Meine Erwiderung – ein langgezogenes Heulen – wird vom Sturm in die Weiten der schottischen Highlands geblasen.

Die Erkenntnis

Und plötzlich, irgendwo auf diesem Anstieg wird mir etwas sehr klar: Wenn ich weitermache, werde ich die nächsten fünf Tage vermutlich keine einzige Minute mehr genießen, werde mich nicht an dieser unfassbar schönen Landschaft freuen, werde nicht stehenbleiben, tief durchatmen, mich freuen, dass ich hier bin, Fotos machen. Sondern ich werde leiden, meine Füße zerstören und die Zeit in den Highlands eben nicht mehr genießen. Und plötzlich, genau auf diesem Anstieg, stelle ich mir die Sinnfrage. Ich habe gerade sehr großen beruflichen Stress. Das hier soll ein Ausgleich sein, gequetscht zwischen zwei Dienstreisen, zwischen Phasen, in denen ich am Wochenende und nachts ein Buchmanuskript fertig stelle. Warum eigentlich darf ich nicht hier und jetzt ein wenig das Tempo rausnehmen? Soll und muss ich nicht sogar hier das Tempo etwas herausnehmen?

In diesem Jahr gibt es erstmals die Möglichkeit, vom Cape Wrath Ultra auf den Cape Wrath Explorer zu wechseln, bei dem man kürzere Distanzen läuft bzw. nur Teile der jeweiligen Tagesetappen. Diese Etappen sind immer noch bis zu 40 Kilometer lang, es ist nicht so, dass man nichts gemacht hat am Ende. Ich weiß von vielen, die schon an den beiden letzten Tagen gewechselt sind, weil sie die Cut-Off-Zeiten nicht geschafft haben. Über diese Möglichkeit denke ich nach. Sie würde bedeuten, dass ich mehr Zeit für weniger Kilometer hätte und auch, dass ich meine Füße jeden Nachmittag etwas pflegen und sie heilen lassen könnte.

Ich beschließe, abzuwarten, wie sehr meine offenen Zehen schmerzen, wenn ich bergab laufe. Das Ergebnis ist eindeutig: Sehr. Ich schicke Hanno weg, er soll loslaufen und die Etappe ordentlich finishen. Sehr langsam und vorsichtig laufe ich den Downhill, das Wetter bessert sich, die Sonne kommt sogar heraus. Ich bin wütend und traurig und enttäuscht und zugleich – wahnsinnig erleichtert. Ich wandere weiter, da meine Füße wirklich weh tun. Ich bleibe stehen und schaue herum. Atme tief durch, putze mir die Nase, schließlich habe ich bis gerade eben noch ziemlich rumgeheult. Schaue herum, atme tief durch, versuche mich mit der neuen Situation zu arrangieren.

Neue Situation beim Cape Wrath Ultra

Am Checkpoint bei Kilometer 15 ist Schluss. Aus. Ich sage den Helfern meine Startnummer und schaffe Fakten: Ich wechsle auf den Explorer. Ich setze mich zu einer anderen Läuferin, die morgens neben mir im Ärztezelt saß und auch ihre Blasen versorgen ließ. Als genügend Läuferinnen und Läufer versammelt sind, die hier für heute aufhören, werden wir zu einem Café gefahren. Völlig verwirrt sitze ich, mitten in einem Etappenrennen, das für mich eigentlich immer bedeutet, tagelang fernab von jeglicher Zivilisation zu sein, in diesem Lokal und weiß erst gar nicht so recht, wohin mit mir. Ich bestelle ein Bier, finde das in diesem seltsamen und unerwarteten Moment irgendwie passend. Rede auf den armen Mann des Organisationsteams ein wie eine Verrückte, um ihm und damit auch mir zu erklären, warum ich hier sitze und nicht irgendwo da draußen auf dem Trail bin.

Etwas später fahren wir ins Camp, es ist seltsam, so früh hier zu sein. Aber schnell merke ich, dass es auch gut ist. Als ich das Tape von meinen Zehen ziehe, um sie zu säubern, sehen sie nicht besonders gut aus. Die Entscheidung war richtig. Ich mache alles sauber, so gut es geht, lasse zur Sicherheit eine Ärztin draufschauen, die meint, ich müsse im Auge behalten, dass sich nichts entzündet und lasse sie in der Sonne etwas trocknen. Ich liege vor unserem Zelt, beobachte, wie Finisher ankommen und versuche mit mir und der neuen Situation klarzukommen. Es geht erstaunlich schnell und das liegt sicherlich an der großartigen Chance, hier trotz allem ein Etappenrennen finishen zu können, wenn auch anders und kürzer als geplant.

Unfassbar schön

Am nächsten Tag entscheide ich mich, damit meine Füße sich wirklich erholen können, für den kürzesten Abschnitt, den ich in der ganzen Woche laufen werde, der letzte Teil der Etappe hat nur gut zehn Kilometer. Die sind dafür unfassbar schön, ständig bleibe ich stehen und mache Fotos.

Ein bisschen trauere ich auch den Gelegenheiten hinterher, die ich nun verpasse, frage mich, was ich alles nicht sehe, heute und auf den nächsten Etappen. Der Trail ist einfach zu laufen und weitgehend trocken. Mir geht durch den Kopf, dass meine Füße noch in Ordnung wären, wenn der Trail in den letzten Tagen auch so gewesen wäre, aber solche Gedanken sind Unsinn, ich versuche sie wieder loszuwerden. Über weite Teile dieser kurzen Etappe freue ich mich an der Landschaft, freue mich, dass ich hier sein darf und dass ich alles nun genießen kann. Es funktioniert.

Schon von weit oben sehe ich das wunderschön gelegene Camp.

Vier Jahreszeiten an einem Tag

Am nächsten Tag stehen um die 30 Kilometer auf dem Programm, wieder entscheide ich mich für die zweite Hälfte, das lässt mir morgens etwas mehr Zeit, meine Sachen zu packen, außerdem mag ich es, tatsächlich in ein Ziel einzulaufen, statt an einem Checkpoint, von dem aus ich dann zum Camp gefahren werde. Auch an diesem Tag bestätigt es sich, dass man normalerweise in den schottischen Highlands alle vier Jahreszeiten an einem einzigen Tag erlebt. In Shorts und T-Shirt bei Sonne gestartet, kämpfen wir uns irgendwann bei fast keiner Sicht mehr einen sehr steilen Berg im Sturm, Nebel und Regen hoch.

Es ist kalt. Und – hatte ich das schon gesagt? – steil und wir sehen nichts und versuchen, mit meiner Garmin zu navigieren. Es macht aber auch irre viel Spaß, sich hier hochzukämpfen und den richtigen Weg zu suchen. Ich bin mit Cathy und Emma unterwegs, zwei englischen Läuferinnen, mit denen ich in diesen Tagen eine unglaublich gute Zeit und auch viel, viel Spaß habe. Irgendwann singen die beiden, angeregt durch Pflanzen am Wegesrand, mitten im Nirgendwo, „Edelweiß“ aus „The Sound of Music“. Was man bzw. frau halt so erlebt auf den Trails dieser Welt… Jedenfalls kommen wir an diesem Tag sehr happy ins Ziel.

Am nächsten und vorletzten Tag entschließt sich Cathy, die ersten 40 Kilometer zu laufen, ich möchte unbedingt, dass meine Füße bis zum Schluss durchhalten und gehe daher auf den nur 20 Kilometer langen zweiten Teil, Emma schließt sich mir an. Inzwischen ist auch Julia auf den Explorer gewechselt, zu schlimm war ihre Entzündung im Schienbein, sie kommt mit uns.

Tolle Organisation beim Cape Wrath Ultra

Wir dürfen erst am Mittag starten, um nicht schon ins Ziel zu laufen, bevor das Camp aufgebaut ist. Erst trinken wir unterwegs einen Kaffee, dann geht es gefühlte Ewigkeiten über kurvenreiche Straßen zu dem Checkpoint, der unser Start ist. Es ist sagenhaft, mit welchem Aufwand der Veranstalter organisiert, alle Läuferinnen und Läufer jeweils ihrer Auswahl entsprechen zu versorgen und zu den jeweiligen Punkten zu bringen. Niemand, der nicht verletzt war, musste hier ganz aufhören und aus dem Rennen gehen (einige mussten freilich aus diesem Grund abreisen), wer noch Teile laufen konnte, war weiter dabei, obwohl dies einiges an Koordination und zusätzlichem Aufwand bedeutete. Dafür kann man dem Veranstalter kaum genug danken und hier spreche ich, wie ich weiß, für sehr viele Teilnehmende.

An diesem vorletzten Tag hat es auf der Fahrt zu unserem verspäteten Start geschüttet wie aus Eimern. Ich schaue in die Landschaft und frage mich, ob ich da wirklich raus will. Eben beim Zwischenstopp war es auch noch wirklich kalt. Ich ziehe viel an, auch die Regenhose und die Regenjacke. Wir steigen aus, warten im Regen, bis wir losdürfen und starten, alle in voller Regenmontur. Der Regen hört augenblicklich auf. Nach wenigen hundert Metern bleibe ich stehen und ziehe zumindest die Regenjacke schon mal aus. Bald kommt die Sonne raus, es ist verrückt hier.

Nun folgt eine Strecke, über die diejenigen, die an diesem Tag noch die kompletten 60 Kilometer laufen, am Abend sehr jammern, Emma und ich genießen den unebenen, grasigen und zugleich schlammigen (was sonst?) Trail, der uns oft direkt an wunderschönen Lochs vorbeiführt, sehr. Auch wenn alles, wie immer in diesem Rennen, länger dauert als vorher gedacht. Die letzten Kilometer führen uns auf einer Straße in Richtung Atlantik und in Richtung Camp. Der Asphalt schmerzt in den geschundenen Füßen, dieser Schluss ist heftig, aber zusammen kommen wir auch da durch und erreichen das Camp. Hier gibt es eine Überraschung: Eine warme Dusche statt Eisbad im Fluss. An diesem Tag sind noch einige Läuferinnen und Läufer aus den langen Distanz ausgeschieden und ebenfalls auf den Explorer gewechselt, teils, weil sie zu Beginn der Etappe in der Höhe bei schlimmen Wetter so durchgefroren waren, dass sie nicht weiterkonnten, teils, weil sie die Zeitlimits am Checkpoint nicht geschafft haben.

Von den Strapazen gezeichnet

Viele von denen, die noch drin sind im kompletten Cape Wrath Ultra, sind zum Teil wirklich von den Strapazen gezeichnet, schleichen und humpeln durch das Camp. Ich denke mir wieder einmal, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Noch ein Tag, auch für uns Explorer geht es morgen auf die Zielgerade!

Am letzten Tag laufen alle die volle Etappe von Kinlochbervie zum Cape Wrath, 26 Kilometer mit 700 Höhenmetern. Zuerst gehen diejenigen auf die Strecke, die noch im langen Wettkampf sind, als allererste starten der erste Mann und die erste Frau. Was für unglaubliche Leistungen die beiden in der letzten Woche vollbracht haben!

Danach gehen in vorher zugeteilten Zeitslots alle anderen auf die Strecke. Emma und ich dürfen zusammen starten, los geht es auf diese achte und letzte Etappe. Wir sind derart freudig aufgeregt, dass ich mir kaum vorstellen kann, wie es in denjenigen aussieht, die das komplette lange Rennen heute beenden. Großartig, das alles!

Der Leuchtturm in Sicht!

Die Etappe ist wunderschön und macht Spaß. Irgendwann führt der Trail uns hinunter ans Meer, an einen wunderbaren Strand am Atlantik. Es ist unfassbar schön. Nachdem wir den Strand gequert haben, geht es wieder hoch und runter, zwischendurch eine Flussquerung, damit wir das Gefühl mit den nassen Füßen nicht vergessen, dann wieder hoch. Etwa zehn Kilometer vor dem Ende sehen wir den Leuchtturm zum ersten Mal. Was für ein Gefühl! Irgendwo auf der ersten Etappe hatte mal jemand einen Wegweiser aufgestellt: „To the Lighthouse“ – nun sehen wir den Leuchtturm tatsächlich.

Diese letzten zehn Kilometer ziehen sich noch mehr als erwartet, doch meiner Garmin kann ich entnehmen, wie die noch zu laufende Distanz schrumpft, irgendwann sind es nur noch zwei Kilometer, wir rechnen jeden Moment damit, dass wir den Leuchtturm aus der Nähe sehen. Nichts, immer noch nichts. Wir treffen auf eine Straße, die wir nun weiterlaufen müssen. Leicht bergan. Und dann, nach einer Biegung, da plötzlich, ganz in der Nähe und vor uns: der Leuchtturm! Emma und ich schauen uns an, nicken und sprinten, so gut das jetzt noch geht, los. Wir hören Jubelschreie, rennen, lachen, schreien, alles gleichzeitig. Dieser Moment, in dem du nach einem solchen Rennen die Ziellinie überquerst, ist ein so unfassbar großartiger Moment.

Dann sind wir da. Am Leuchtturm. Wir machen Finisherfotos, bekommen eine Suppe und einen Tee. Hanno ist noch da (nach und nach werden alle mit dem Bus von hier oben weggebracht) und spendiert mir ein Bier. Wir warten mit unseren immer noch nassen Füßen auf den nächsten Bus, frieren. Nun hole ich zum ersten Mal die Jacke aus dem Laufrucksack, die wir für Notfälle immer dabei haben mussten in diesen acht Tagen. Alle ziehen alles an und stehen im Ziel und zittern. Es ist fast ein bisschen lustig. Dann kommt ein Bus, wir steigen ein, fahren eine Stunde lang wieder weg von diesem nordwestlichsten Punkt Schottlands. Dann setzen wir mit einem kleinen Boot über und gehen zu Fuß ins Camp. Das letzte Camp.

Heute ist eine Bar aufgebaut, an der Getränke zum Essen und vor allem zur Siegerehrung gekauft werden können. Wir essen und trinken Bier, feiern einander und freuen uns.

Die Siegerehrung ist stimmungsvoll, beginnt mit dem Einzug eines Dudelsackspielers, der Kreis schließt sich, so war es auch beim Start. Wie schon beim Start kämpfe ich auch hier und jetzt mit den Tränen. Jeder und jede, der oder die den Explorer oder den Ultra gefinisht hat, wird nach vorne gerufen und bekommt vom Renndirektor eine Medaille überreicht. Eine große, wuchtige Medaille, die sehr schwer am Hals hängt. Eine große Medaille nach einem großen Lauf.

Der Cape Wrath Ultra bzw. für mich und viele andere der Cape Wrath Explorer war ein unglaublich intensives Erlebnis, ein Lauf und teilweise eine Wanderung durch unwegsames Gelände, durch sagenhaft schöne Landschaften, durch die schottische Wildnis, meist fern von jeglicher Zivilisation. Das Event ist sagenhaft gut organisiert, der Renndirektor und sein gesamtes Team machen einen unfassbar guten Job, es war trotz aller Strapazen in gewisser Weise mein bisher luxuriösestes Etappenrennen. Am Ende bin ich 260 Kilometer gelaufen, das war weniger als geplant, aber genau richtig und trotz allem etwas, auf das ich stolz und voller Zufriedenheit zurückblicke. Und mit einem breiten Lächeln denke ich an all die netten Begegnungen in dieser intensiven Woche, die das Event zu so viel mehr als einem sportlichen Ereignis in grandioser Landschaft gemacht haben.

Ich danke allen, die mit mir da draußen unterwegs waren, danke an den Veranstalter Ourea Events für den Startplatz, an das gesamte Team des Cape Wrath Ultra und…

– thanks to the incredible ladies who shared tent number 3 with me and to Hanno, Arieh, Stijn, Julia, John and Ian and all the other crazy runners, especially to Emma and Cathy – you were amazing and made this week so special!!!

Fotos: privat, No Limits Photography

Das bin ich

Dr. Andrea Löw, Historikerin und leidenschaftliche Läuferin. Hier nehme ich euch auf meine Laufabenteuer und Reisen mit.

HAPPY RUNNING – mein Buch

Mein nächstes Ziel

Auszeichnungen

Running Happy in 2023

Malta Marathon
EcoTrail Paris 45 km
Paris Marathon
Two Oceans Marathon Kapstadt
Hamburg Marathon
Cape Wrath Ultra: 400 km
Ultra X Jordan: 230 km