51 Kilometer und 3100 Höhenmeter im An- und im Abstieg, Start und Ziel in Grindelwald, den imposanten Eiger meist im Blick – das ist die Strecke E 51 beim Eiger Ultra Trail. Mein zweiter Ultralauf in den Bergen in diesem Jahr nach dem Zugspitz Supertrail XL genau vier Wochen zuvor. Wie es wohl wird? Ich bin am Vortag nervös und freue mich gleichzeitig wie verrückt. Nach ungefähr achtstündiger Anreise kommen wir inmitten der wunderschönen Bergkulisse in Grindelwald an.
Die umfangreiche Pflichtausrüstung (selbst meine warme Primaloftjacke ist dabei) wird bereits bei der Startnummernausgabe kontrolliert. Ich muss das Hauptfach meines Rucksacks während des Rennens kein einziges Mal öffnen, brauche bei der Hitze weder zusätzliche Kleidung noch – zum Glück – etwas aus meinem Erste-Hilfe-Set. Und selbst auf meine Verpflegung greife ich, mit Ausnahme einiger Salzbrezeln, nicht zurück. Doch der Reihe nach.
In Grindelwald tummeln sich die Läufer, wie nicht anders zu erwarten bei einem Event mit drei jeweils ausverkauften Strecken (16 Kilometer mit 960 Höhenmeter, 51km mit 3100 HM und 101 km mit 6700 HM) und damit etwa 1500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Erst zum zweiten Mal findet der Eiger Ultra Trail statt und stößt schon jetzt auf großes Interesse und riesige Begeisterung – und das zu Recht.
Nach einem ausgiebigen Abendessen (die Pastaparty lassen wir ausfallen) und dem Race Briefing geht es früh ins Bett, schließlich ist der Wecker auf 4.30 Uhr gestellt. Ich schlafe schlecht und viel zu kurz, aber das macht mir keine Sorgen, ist das bei mir doch meist der Fall bei solchen Events. Und das Adrenalin sorgt rasch dafür, dass ich hellwach bin. Um 5 Uhr ein gutes Frühstück im Partnerhotel unserer Unterkunft (wer möchte, bekommt hier um die Uhrzeit sogar Pasta), in Ruhe die letzten Vorbereitungen und dann geht es zum Start. Pünktlich um 7 Uhr fällt der Startschuss.
Und dann geht es hoch. Sehr lange geht es fast immer bergauf, der größte Teil der 3100 Höhenmeter wird in der ersten Hälfte des Rennens absolviert. Bis zur ersten Verpflegungsstation an der Großen Scheidegg nach etwa acht Kilometern haben wir uns immerhin schon um gut 1000 Höhenmeter auf 2000 Meter Höhe hochgeschraubt. Und langsam wird es heiß, richtig heiß. Ich bin froh, dass ich mich entschlossen habe, mit Kappe zu laufen, sonst hätte ich mir vermutlich das ganze Rennen über Sorgen gemacht, dass ich irgendwann einen Sonnenstich bekomme. Ich achte darauf, viel zu trinken, höre ansonsten auf mein Gefühl und lasse die Salztabletten weg, die mir zuletzt an der Zugspitze ziemlich auf den Magen geschlagen sind. Auch nehme ich die gesamte Strecke über nur zwei Gels, versuche stattdessen die Oatmeal-Riegel an den Verpflegungsstationen, die mir gut bekommen.
Es ist anstrengend, sehr anstrengend, aber zugleich entschädigen die Blicke in die wunderschöne Landschaft derart, dass ich keine Sekunde daran zweifle, gerade genau am richtigen Ort und im richtigen Rennen zu sein. Nachdem wir eine gewisse Höhe erreicht haben, sind wir kilometerweit auf traumhaften Trails unterwegs, die größtenteils zu laufen sind, da es nur vereinzelt zu steil wird. Ich komme in einen richtigen Flow, auch wenn die Beine schon schwer sind und die Hitze das ganze härter macht. Ich laufe einfach mein Tempo und versuche, mich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Auch nicht von den richtig steilen Steigungen, die dann selbstredend doch noch kommen.
(Fotos: Alpha Foto)
An der Verpflegungsstation Oberläger Bussalp wird darauf hingewiesen, dass die nächste Verpflegung in drei Kilometern folgt – drei Kilometer, wie wenig das klingt… Aber nun steht uns der Anstieg zum höchsten Punkt des Rennens bevor, auf das Faulhorn mit gut 2600 Metern Höhe. 600 Höhenmeter sind auf den drei Kilometern zu bewältigen und die Luft wird langsam dünner. Immer wieder gehe ich an Läuferinnen und Läufern vorbei, die sich auf den Beinen aufstützen und verschnaufen oder am Rand sitzen, um ein Gel zu sich zu nehmen. Dieser Aufstieg zehrt an den Kräften. Ich vertrage die Höhe erstaunlich gut, trotzdem bin ich außer Atem, als ich an der Verpflegungsstation ankomme. Gierig schütte ich die erste Cola des Rennens in mich hinein –erstaunlich, wie sehr man in solchen Situationen genau so etwas braucht (ich trinke sonst nie Cola…).
Nun folgt ein langer Abstieg bis zur Schynige Platte. Durch Geröllfelder und über tolle Trails geht es mal steil, mal flacher stetig hinunter, es macht wahnsinnigen Spaß. Links die schneebedeckten Berggipfel im Blick, rechts türkisfarbene Seen, die Landschaft ist ein Traum. Immer wieder bleibe ich stehen, um Fotos zu machen oder mich einfach nur umzusehen, ohne dabei in dem anspruchsvollen Gelände einen Fehltritt zu riskieren. Ohnehin knicke ich immer wieder leicht um, kann es zum Glück, ebenso wie diverse Beinahe-Stürze, immer noch abfangen. Leider stehe ich auch immer wieder regelrecht im Stau. An vielen Stellen ist es nicht möglich zu überholen und wenn dann vorn jemand geht statt zu laufen, kommt man nicht weiter. Aber gut, so habe ich eben länger etwas von der Landschaft hier oben.
Immer wieder begegne ich jetzt auch Läufern, die auf der langen Strecke unterwegs sind. Puh, die haben noch einiges vor sich… Ich schwanke zwischen Bewunderung und Mitgefühl. Aber nun muss ich erstmal meine 51 Kilometer hier bewältigen. Die Beine sind inzwischen schwer, trotzdem komme ich ganz gut vorwärts. Ich hatte vor dem Lauf keine konkrete Erwartung an meine Zielzeit, habe mit irgendetwas zwischen zehn und 13 Stunden gerechnet. Nun merke ich, dass ich deutlich näher an die zehn Stunden heran laufe, was mich freut und mir immer wieder Antrieb gibt. Außerdem klappen die Downhills heute gut, das ist bei mir nun wahrlich nicht immer der Fall.
An einer Stelle geht es plötzlich eine steile Treppe hoch – meine entsetzte Frage an den Streckenposten, wer sich denn so etwas hier ausgedacht hat, wird trocken mit „Ein Sadist“ beantwortet. Ungefähr bei Kilometer 33 ist meine Trinkblase leer, kein schöner Moment bei der Hitze, zumal ich kurz vorher einige meiner Salzbrezeln gegessen habe. Egal, weiter, da muss ich durch, Hauptsache, jetzt kommt kein noch so kleiner Anstieg. Unglaublich dankbar bin ich also, als das vertraute Schild ins Blickfeld kommt, das eine Verpflegungsstation in 500 Metern ankündigt. Wie gut Wasser schmecken kann…
Nun verstaue ich meine Stöcke am Rucksack und gebe Gas. Erst auf einem Schotterweg, dann auf Wurzeltrails im Wald geht es stetig bergab, ich komme halbwegs gut vorwärts, auch wenn die Beine inzwischen beim Downhill ein wenig schmerzen. Alles im Rahmen. Dann aber ein wirklich harter Moment: Es geht wieder hoch. Das hatte ich vom Höhenprofil her nicht mehr erinnert oder ich hatte es verdrängt oder wie auch immer. Ein kritischer Moment jedenfalls für meinen Kopf, der bisher alles gut durchgehalten hatte. Aber jetzt wieder bergauf??? Mehrere Läufer, die ich vorher beim Downhill überholt hatte, ziehen nun wieder an mir vorbei. Leicht resigniert hole ich meine Stöcke wieder heraus.
Egal, es geht ja immer irgendwie weiter. Nach etwa neun Stunden komme ich unten im Tal an der größten Verpflegungsstation in Burglauenen an. Es gibt Pasta, Massage wird angeboten – denn die Läuferinnen und Läufer des E 101 haben hier ihre Halbzeit. Uff, während ich nur noch ungefähr sieben Kilometer vor mir habe, müssen die jetzt in die zweite Hälfte, die noch mehr Höhenmeter hat.
Aber auch unsere letzten wenigen Kilometer sind hart. Vorbei ist es mit den schönen Trails, ein breiter Weg führt zwischen Wald und Straße bis Grindelwald, er zieht sich unendlich, ist gespickt mit zahlreichen kleineren Steigungen, die ich alle nur noch gehen kann. Wann immer es geht, trete ich wieder an und trabe langsam weiter. Energie ist keine mehr vorhanden, die ist irgendwo auf dem Trail geblieben. Größter Ansporn ist irgendwann eine ganze Horde Bremsen, die über mich herfällt und sich erst abschütteln lässt, als ich wieder mehr Tempo mache.
Schon in Grindelwald selbst gibt es kurz vor dem Ziel noch einen kurzen, aber sehr knackigen Anstieg, der, wie ich später höre, die meisten verzweifeln lässt. Aber danach geht es nur noch um eine Ecke auf die kleine Hauptstraße des Ortes, wo alle uns Läuferinnen und Läufer anfeuern. Die letzten Kräfte werden mobilisiert, dann biege ich unter dem ersten Eventbogen ein auf die letzte kleine Schleife, an deren Ende nach etwa 200 Metern das Ziel ist. Überglücklich überquere ich die Ziellinie nach 10 Stunden und 10 Minuten und bekomme eine der schönsten Medaillen, die ich je bekommen habe: ein Stück vom Eiger!
Wow, was für ein Rennen. Hammerhart, aber so unglaublich schön! Ich bin sehr versucht, mich auch im nächsten Jahr im Juli auf den Weg nach Grindelwald zu machen. Zur dann dritten Auflage eines wirklich fantastischen Wettkampfes.