Tolles Event mit wunderbaren Leuten, wunderschöne Strecke, harter Kampf mit mir selbst: Das war für mich das Innsbruck Alpine Trailrun Festival 2016.
Bei der zweiten Auflage dieses recht früh in der Trail-Saison stattfindenden Events standen fünf Distanzen zur Auswahl: 15 km, 25 km, 42 km, 65 km und 85 km. Lange habe ich im Vorfeld mit mir gehadert, welche Distanz ich laufen möchte, doch irgendwann dachte ich mir, es soll unbedingt die ganz lange Runde mit ihren 3600 Höhenmetern rauf und runter werden. Dann habe ich auch noch einen Startplatz gewonnen, es sollte also so sein.
Voller Vorfreude habe mich auf den Weg nach Innsbruck gemacht. Endlich wieder eine coole Veranstaltung, die Vorfreude und Nervosität, die netten Leute! Nachdem es kurz vor dem Event noch einen kleinen Wintereinbruch gegeben hatte, zeigte sich bei der Ankunft in Tirols Hauptstadt wieder einmal, dass der Wettergott ein Läufer sein muss: Strahlender Sonnenschein, im T-Shirt konnte ich zu Startnummernausgabe und Materialcheck gehen. Und schon hier treffe ich am laufenden Band Bekannte. Es ist herrlich, offenbar haben all die Verrückten schon seit Ewigkeiten darauf gewartet, dass es endlich das erste große Event in diesem Jahr gibt – und zack, da sind sie alle 🙂 Ganz wunderbar!
Ich werde nervös. Knapp 86 Kilometer mit 3600 Höhenmeter sind schon eine Nummer, und dies bereits Ende April. Nach dem Briefing gehe ich direkt ins Hotel, sortiere mich und meine Ausrüstung, lege mir etwas zu essen hin und versuche nicht so sehr daran zu denken, dass ich um 2 Uhr schon wieder aufstehen muss, da um 4 Uhr der Start ist. Klappt nicht. Schlafen auch nicht wirklich, aber das war nicht anders zu erwarten.
Ich bin froh, als ich wieder aufstehen und mich fertig machen kann und es endlich los geht. Ich gehe zum Start, treffe anfangs keinen einzigen Läufer, stattdessen auf ein lebendiges Innsbrucker Nachtleben. Auch am Start ist es um 3.20 Uhr noch recht leer. Alles ist entspannt, von den insgesamt 900 Läuferinnen und Läufern des ausverkauften Festivals gehen nur 84 bei der langen Strecke an den Start. Wir stehen recht relaxed herum, quatschen noch, vergleichen, wie warm wir angezogen sind und plötzlich geht es dann schon los.
Ich bin froh, als ich mich endlich bewegen kann, das große Rennen beginnt. 85 Kilometer, puh, das drittlängste Rennen, bei dem ich bisher am Start stehe. Die Strecke beschreibt der Veranstalter:
„Gestartet wird aus dem Herzen Innsbrucks um nach einer kurzen Passage entlang des reißenden Inns vollkommen in die beeindruckende Bergwelt Tirols einzutauchen. Nach der Innquerung geht es am Alpenzoo und Nahe der Hungerburgbahn vorbei in Richtung Umbrüggler Alm. Von hier läuft man über den Höttinger Graben zum Alpengasthof Rauschbrunnen. Dann folgt der Abstieg nach Kranebitten, um den Inn erneut zu queren. Nach einem kurzen Stück am Inn führt die Strecke über Völs nach Birgitz. Von hier aus machen sich die Läufer über den Almenweg mit der Götzner Alm, Mutterer Alm und der Kreither Alm auf den Weg nach Telfes. Danach geht es über Mieders, Schönberg vorbei am Sillwerk und der Stefansbrücke Richtung Vill. Durch die imposante Sillschlucht verläuft die Strecke weiter über den Lanser Kopf, nach Aldrans und Ampass. Nach der erneuten Innquerung geht es durch die historische Haller Altstadt Richtung Absam und Thaur. Vorbei am Schlosshof, über die Enzianhütte und die Arzler Alm führt der Weg wieder Richtung Alpenzoo um im Herzen der Alpenmetropole Innsbruck die Ziellinie zu überqueren.“
Das klingt gut… und weit. Im Höhenprofil sieht das so aus:
Ich versuche, mich an einen Bekannten zu hängen, mit dem ich bei den 4Trails letztes Jahr manchmal gelaufen bin, will vermeiden, allein unterwegs zu sein und mich zu verlaufen. Das stellt sich im späteren Verlauf als Fehler heraus, denn ich bin eigentlich etwas zu schnell unterwegs. Blöder Fehler beim Ultra…
Doch zunächst ist der Lauf ganz wunderbar, wenn er es auch direkt am Anfang in sich an: Zwei anspruchsvolle Auf- und Abstiege im ersten Drittel. Doch wie meist in den Bergen entschädigt die wunderbare Szenerie für viele Mühen.
(Foto: Sportograf)
Der Sonnenaufgang ist gigantisch. Auf dem Weg zur Mutterer Alm auf 1600 Metern kommen wir auch durch den angekündigten Schnee, wegen dem Spikes zur Pflichtausrüstung gehören. Es ist stellenweise glatt, aber so im Rahmen, dass die Spikes im Rucksack bleiben. Oben angekommen bereits die vierte von neun (!) Verpflegungsstationen, wir werden wirklich sehr gut versorgt. Ich habe Hunger, merke, dass ich schon einiges in den Beinen habe.
(Foto: Sportograf)
Von der Mutterer Alm aus geht es bei einigen kurzen Gegenanstiegen 25 Kilometer vor allem bergab oder eben weiter. Die Downhills gehe ich hier recht zügig an, hier liegt die Ursache für meine später arg schmerzenden Oberschenkel. Blöder Fehler, hat aber so viel Spaß gemacht… Meinen Laufpartner der ersten Kilometer verliere ich hier, er hängt mich ab. Ungefähr bei Kilometer 65 treffe ich ihn wieder, der Arme ist mit Kreislaufproblemen aus dem Rennen ausgeschieden und wartet nun darauf, abgeholt zu werden.
Mir tut zu diesem Zeitpunkt bereits alles weh, aber ich bin noch gut drauf, die Psyche stimmt. Aber das kippt. Irgendwann wird es hart, dann immer härter. Mein Tiefpunkt beginnt mitten im historischen Hall in Tirol, das wir ungefähr bei Kilometer 70 durchlaufen. Ich schleppe mich Treppenstufen hinaus, biege irgendwo falsch ab, ärgere mich, komme immer langsamer von der Stelle. Von diesem Moment an ist es dann auch nicht mehr besser geworden.
Von Schmerzen und Krisen
Ultraläufe tun weh und Krisen gehören dazu. Weiß ich alles. War trotzdem hart. Ich schleppe mich die letzten Anstiege hoch, die Kilometer nehmen kein Ende, mein mentaler Tiefpunkt ist erreicht, als ich an einer zusätzlichen Verpflegungsstation erfahre, dass ich nicht noch 8 Kilometer zu laufen habe, wie ich dachte, sondern noch 12,8. Mir ist in dem Moment ein Rätsel, wie ich das schaffen soll. Ich quäle mich weiter, fluche vor mich hin, suche Streckenmarkierungen, habe Angst, mich jetzt noch zu verlaufen.
Der Kopf ist aber doch etwas tolles, am Ende gewinnt er. Ich gebe nicht auf, bleibe nicht stehen. Immer weiter, immer weiter. Ich denke darüber nach, wie dumm es war, so wenig Höhenmeter zu trainieren und mich trotzdem für die längste der Strecken anzumelden. Ich denke aber auch, dass ich es trotzdem schaffe und möglicherweise sehr viel aus den heute gemachten Erfahrungen mitnehmen und lernen werde.
Irgendwann ist der letzte lange Anstieg geschafft und es geht wieder abwärts. Die Erleichterung darüber währt jedoch nur kurz, denn der unglaubliche Muskelkater in meinen Oberschenkeln, der mich die nächsten Tage quälen wird, hat bereits begonnen. Schönen Gruß von den ersten beiden Downhills! Ich eiere den Berg hinunter, jammere dabei vor mich hin. Bin an manchen Markierungen unsicher, welcher Weg gemeint ist und bete, dass der Akku meiner Garmin durchhält, auf der der Track gespeichert ist, so dass ich im Zweifel kurz nachsehen kann.
Irgendwann kommt Innsbruck immer näher, bin ich fast unten. Hatte ich zwischendurch gedacht etwa 15 Stunden zu brauchen, bin ich nun schon seit über 16 Stunden unterwegs. Egal, Hauptsache ankommen, Hauptsache, heil ins Ziel! Ich nähere mich dem Inn, überquere ihn ein letztes Mal, nähere mich dem Ziel. Immer wieder schauen Passanten auf meine Startnummer und feuern mich an, wenn sie sehen, dass ich auf der langen Strecke unterwegs bin. „Wow, die läuft die 85!“ höre ich bewundernd. Das tut so gut! Und dann ist es so weit, ich biege um die letzte Ecke, schleppe mich ins Ziel. Geschafft! Nach 16 Stunden und 23 Minuten, später als gedacht und erhofft, bin ich da.
(Foto: Sportograf)
Der Sprecher kommt mit dem Mikro zu mir, will wissen, wie man denn auf die Idee kommt, sich zu seinem derart langen Rennen anzumelden. Ich sage ihm, dass ich das gerade nicht weiß, dass ich mir die Frage seit Stunden selber stelle und dass er mich am nächsten Tag doch noch einmal fragen solle…
Ich gehe ins Hotel, kann kaum unter der Dusche weggehen, weil diese so unglaublich gut tut und schaffe es leider auch nicht mehr zur Pastaparty. Ich will einfach nur auf meinem Bett sitzen, mich nicht bewegen. Hunger habe ich auch nicht. Ich starre vor mich hin, denke über diesen langen Tag nach, kenne bereits jetzt einige Fehler, die ich gemacht habe. Aber ich bin auch stolz. Stolz darauf, dass ich es geschafft habe, dass ich trotz der recht lange andauernden Krise nicht ans Aufgeben gedacht habe, sondern immer sicher war, dass ich das Ding hier zu Ende laufen werde. Das ist Ultra!
Nach einigen Tagen, in denen ich sehr müde war und ziemlich durch die Gegend gehumpelt bin, fange ich gerade an, mich auf meine nächsten Läufe zu freuen. Der Höhepunkt dieser Saison soll der Trans Alpine Run werden. Bis dahin ist noch eine Menge Training nötig, das hat mein Lauf durch gefühlt ganz Tirol deutlich gezeigt, aber ich bin auf einem guten Weg.
Gewonnen hat dieses Rennen Martin Schedler in für mich unglaublichen 8 Stunden und 32 Minuten, bei den Damen war Ildiko Wermerscher in fantastischen 11 Stunden und 26 Minuten ganz vorn. Hier findet ihr die weiteren Ergebnisse, auch die der übrigen Distanzen:
http://my4.raceresult.com/45301/results?lang=de#
Mit ein paar Tagen Abstand denke ich übrigens schon darüber nach, nächstes Jahr wieder nach Innsbruck zu fahren und dort – auf welcher Strecke auch immer – zu laufen. Das Innsbruck Alpine Trailrun Festival ist ein ganz wunderbarer Start in die Trailrunning-Wettkampf-Saison, sehr liebevoll organisiert und durchgeführt.
Ein kleines Dankeschön
Und am Ende dieses Textes ist es mir ein Bedürfnis, danke zu sagen: an Koch alpin/Snowline Spikes für Startplatz und tolle Spikes, außerdem an pjur active, die mich kürzlich wieder mit ihrem grandiosen 2 Skin ausgestattet haben: Ich bin selbst bei dieser langen Tour ohne Scheuerstellen und Blasen ins Ziel gekommen! Und wie immer: Danke an ASICS Frontrunner und SZIOLS Sportsglasses für die perfekte Ausrüstung für die Trails dieser Welt.