Dem deutschen Winter entfliehen, im T-Shirt durch die engen Gassen der Altstadt von Marrakesch flanieren, leckere marokkanische Tajine und Couscous essen und dann auch noch 42,195 Kilometer in dieser magischen Stadt laufen – das alles passt in ein Wochenende!
Vor einigen Wochen hatte Sophie mich gefragt, ob ich mit ihr den Marrakesch Marathon laufe, Flüge seien günstig, das Riad auch. So etwas darf man mich nicht fragen, allzu schnell war ich überzeugt. Passt außerdem super als langsamer langer Lauf in mein Training für Namibia. Pascal fand sofort, nach Marrakesch will er auch mit, zu gut hat es uns dort vor etwas über einem Jahr gefallen, als wir im nahe gelegenen Atlas-Gebirge beim wunderbaren UTAT gelaufen sind.
Unbedingt will ich beim UTAT noch mal starten, jetzt aber erstmal der Marathon mitten in der lauten und vollen Stadt. Am Freitag fliegen wir hin, Direktflug von München, dreieinhalb Stunden. Bei eisigen Temperaturen gestartet, landen wir in frühlingshafter Wärme. T-Shirt, Sonnenbrille, passt!
Nach Bezug unseres zugegebenermaßen sehr einfachen Riad in der Medina, der Altstadt, machen wir uns auf den Weg, die Startnummern abzuholen. Scheint leicht zu sein, sagt der Blick auf den Stadtplan. Stimmt aber nicht, antwortet die Realität. Wir irren umher, finden keine Straßenschilder, wenn wir welche finden, sind wir falsch. Ständig. Eine gefühlte Ewigkeit später haben wir es geschafft, die Startnummern sind bei uns. Und wir wissen: Wir müssen den Weg zum Start üben. Unbedingt. Start um 8 Uhr morgens, da darf nichts schief gehen.
Abends verlaufen wir uns wieder, irren in der Medina umher und fragen uns, ob wir die enge Gasse ohne Straßenschild, in der unsere Unterkunft ohne Beschriftung sich befindet, jemals wiederfinden. Als wir endlich ankommen, sind wir so erleichtert, dass wir uns gern ein Bier gönnen würden. Geht aber nicht. Alkoholische Getränke gibt es nicht, jedenfalls nicht im kleinen Laden um die Ecke, im muslimischen Marokko. Eh besser, bald ist Marathon. Fanta ist auch toll 🙂
Am nächsten Tag gehen wir – wir sind ja lernfähig – einfach außerhalb der Altstadtmauer entlang, die ganze Zeit, bis wir zu der Straße kommen, in der sich Start und Ziel befinden. Ist ein kleiner Umweg, aber idiotensicher. Super, das haben wir im Griff.
Unser mutiger Zeitplan – Rückflug am Sonntag am 15.30 Uhr – kann eigentlich nur klappen, wenn Sophie und ich nicht nach dem Marathon noch in die Unterkunft müssen, um unser Gepäck zu holen. Da Pascal „nur“ den Halbmarathon läuft, hat er mehr Zeit. Der Plan ist also, dass er vom Ziel zum Riad läuft, das Gepäck einsammelt, mit einem Taxi zum Ziel kommt und auf uns wartet. Also üben wir den Weg vom Ziel zum Riad, auch da darf nichts schief gehen.
Den Rest des Tages bummeln wir durch die engen Gassen der Medina, genießen all die wunderbaren Stände auf den Märkten, kaufen ein paar Souvenirs, vergessen dabei das Feilschen nicht, genießen das orientalische Flair. Schlendern über den bekannten Djemaa el Fna, den Platz der Geköpften, wo wir Schlangenbeschwörer und Geschichtenerzähler beobachten, die fremde Atmosphäre geradezu aufsaugen. Und wir tapern – nicht. Aber so gar nicht. Wie sollen wir die Füße stillhalten in dieser spannenden Stadt? Überbewertet, diese Erholung vorm Marathon, beschließen wir kurzerhand.
Unsere kleine private Pastaparty findet auf der Dachterrasse eines marokkanischen Restaurants in der Altstadt statt. Menü mit traditioneller Suppe, Tajine und Jogurt, untermalt von Live-Berbermusik. Viel besser kann es nicht werden.
Dann der Marathon. Die Sonne geht auf, als wir auf dem Weg zum Start sind, unsere Stimmung ist trotz zu kurzer Nacht fantastisch. Am Start merken wir, dass die meisten recht ausgelassen sind, Fotos werden in wild zusammengewürfelten Läufergruppen gemacht, alle möglichen Nationen sind hier vertreten.
Wir laufen los, es sind angenehme Temperaturen im eher niedrigen zweistelligen Bereich, die Sonne scheint. Bei gut 800 Marathonis (darunter knapp 100 Frauen) gibt es kein Gedränge, da war es bei den über 5000 Halbmarathon-Startern eine halbe Stunde nach uns enger.
Die Strecke ist mitunter nicht besonders schön. Durch breite Straßen geht es erst am Bahnhof vorbei, dann bald aus der Stadt raus, lange zieht die Straße sich mit Blick auf die Berge, dann laufen wir eine Kehre, und eine Parallelstraßen wieder zurück. Strecke machen. Und trotzdem genieße ich es total, bin so froh und dankbar, dass ich hier durch die Sonne laufen, den Marathon in Marrakesch laufen darf. Wie cool ist das denn???
Polizisten stoppen den Verkehr an viel befahrenen Kreuzungen, wenn wir vorbeilaufen, ein wildes Hupkonzert ist die Folge. Überhaupt, der Verkehr! Als wir wieder Richtung Altstadt unterwegs sind und dann eine Zeit lang um die Stadtmauer laufen, herrscht ein wahnsinniger Trubel, ständig kurven Mofas um uns herum, man muss wirklich aufpassen. Und die Abgase – zwischendurch frage ich mich, wie gesund das wohl ist, beim Marathon die ganze Zeit Abgase einzuatmen. Aber gut, so ist das eben.
Meine Beine werden langsam schwer, zu wenig wirklich lange Läufe habe ich in den Knochen. Zum Glück habe ich ohnehin einen langsamen Trainingslauf hier geplant. Also kein Grund zur Eile mit den müden Beinen. Wir laufen wieder aus der Stadt heraus, und nun folgt ein wirklich schöner Abschnitt: Palme, Kamele, ein Traum! An den Verpflegungsstationen gibt es inzwischen außer Mandarinen auch manchmal Datteln – wunderbar! Wasser, eine halbe Mandarine und fünf Datteln, das war am Ende meine Verpflegung in diesem Marathon.
Leider geht dieser wunderbare Streckenabschnitt wieder vorbei, und dann wird es hart. Richtig hart, für Kopf und Beine. Ab Kilometer 32 geht es ganz leicht und stetig bergan. Wirklich nur leicht, so dass ich nicht gehe, sondern langsam weiter trabe. Aber es ist hart. Eine breite, endlose Straße. Hoch. Gerade. Immer weiter. Der Sonne entgegen, die mir inzwischen im Gesicht brennt. Puh! Noch eine Dattel. Ich überhole inzwischen viele gehende Läufer, obwohl ich selbst langsam unterwegs bin. Dieser Abschnitt macht alle etwas fertig.
Es bleibt so bis zum Abzweig knappe 500 Meter vor dem Ziel. Harte letzte zehn Kilometer waren das. Aber hier, wie auch sonst immer wieder auf der Strecke, feuern uns immer wieder Passanten an. „Bon courage! Bon courage!“ wird mir immer wieder zugerufen. Selbst verschleierte ältere Damen lächeln mir aufmunternd zu. Ich mag die Atmosphäre.
Und dann bin ich im Ziel, bin froh und happy über meinen 22. Marathon in einer so besonderen Stadt. Am Treffpunkt finde ich Pascal, der Halbmarathon und Gepäckorganisation souverän geschafft hat, habe sogar noch Zeit, mich auf einer Hotel-Toilette umzuziehen. Als Sophie kurz danach kommt, springen wir ins Taxi und fahren zum Flughafen. Wir lassen unsere Medaillen um, quasi als Erklärung dafür, wie wir aussehen. Am Flughafen werden wir mehrfach von Offiziellen für unser Marathon-Finish gefeiert, selbst der zunächst etwas mürrisch dreinblickende Mann an der Passkontrolle fängt an zu strahlen und erklärt mir, wie toll er es findet, wenn Frauen Sport machen. Ein Verkäufer im Dutyfree Shop erklärt uns, wir seien die ersten, die hier mit Medaille auftauchen, also hätten wir gewonnen. Überraschende Reaktionen, aber schön.
Pünktlich um 20.15 Uhr landen wir in München, bekommen nach einem Sprint (ja, das ging noch!) den Bus um 20.30 Uhr und fahren heim. Ich bin verwirrt, ein paar Stunden vorher bin ich noch in Marrakesch Marathon gelaufen. Verrückt das alles. Verrückt, aber ganz wunderbar. Was für ein Kurztrip in eine andere Welt, raus aus dem Alltag – ist es nicht der Hammer, was Laufen uns geben kann? It´s a big world – go run it!