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Running in Sarajevo: Ein Lauf durch die Geschichte

von | Apr 19, 2015 | Allgemein, Laufjahr 2015 | 0 Kommentare

Ich bin beruflich viel auf Reisen und habe dabei immer meine Laufschuhe im Gepäck. Vor Besprechungen oder Vorträgen konnte ich in der Vergangenheit dann den Luxus genießen, einen Morning Run etwa an der Seine, der Themse oder sehr hügelig in Jerusalem zu unternehmen. Herrlich!

Nun stand ein Vortrag in Sarajevo auf dem Programm, und natürlich wollte ich auch hier laufen. Sarajevo, die Hauptstadt von Bosnien und Herzegowina. Hier war ich noch nie. Die Olympischen Winterspiele von 1984 und natürlich der furchtbare Krieg, der erst vor zwanzig Jahren sein Ende fand, sind die beiden Dinge, die mir sofort in den Sinn kommen. Und natürlich das Attentat auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand 1914. Ein Münchener Obstverkäufer, bei dem ich mich sehr gern mit Vitaminen eindecke, stammt aus Sarajevo. Er schwärmt von seiner Heimat, davon, wie hier verschiedene Kulturen die Geschichte geprägt und mehrere Religionen friedlich zusammen gelebt haben. Alles dies ist im Stadtbild sehr sichtbar.

Schon im Vorfeld organisiere ich mir eine geführte Lauftour. Das wollte ich schon lange einmal irgendwo ausprobieren und Sarajevo erschien mir der perfekte Ort dafür. Ich habe Glück, entdecke, dass die Organisatoren des Halbmarathons in Sarajevo solche Touren anbieten. Auf meine Anfrage antwortet mir Erol, der Chef des ganzen, und schlägt vor, mich um 6.30 Uhr am Hotel abzuholen. Die Stadt sei dann noch nicht so voll, weniger Autoabgase zudem. Perfekt!

Der eineinhalbstündige Lauf ist traumhaft schön, zugleich bewegend (im doppelten Sinn) und wahnsinnig interessant. Die Eindrücke werden mir ebenso wie die Gespräche mit Erol noch lange im Kopf herumschwirren, da bin ich sicher.

Wir laufen durch die um diese Zeit noch menschenleere Altstadt mit ihren Moscheen, Kirchen und einer Synagoge, über einen Basar, vorbei an der Ecke, an der Franz Ferdinand erschossen wurde und heute ein Museum steht, und am Alten Rathaus aus Habsburger Zeit. So viel gesehen und noch nicht einmal zwei Kilometer gelaufen, Wahnsinn! Dann laufen wir raus der Stadt in Richtung Natur und Berge. Sarajevo ist umgeben von Bergen, sobald man das Stadtzentrum verlässt, gibt es Höhenmeter.

Für den nächsten Besuch, so ist schon verabredet, soll ich mehr Zeit einplanen und dann gibt es einen ausgedehnten Trailrun. Allerdings, so lerne ich, sollte man derartige Touren hier unbedingt mit Einheimischen unternehmen bzw. auf den markierten Wegen bleiben. Es gibt immer noch Minenfelder, es kann gefährlich sein, sich einfach mal ins Gelände zu schlagen.

Der Krieg. Er ist immer wieder Thema auf diesem Lauf. Wir machen einige Höhenmeter und haben einen wunderschönen Blick auf Sarajevo, sehen die vielen Minarette und anderen Bauwerke im Licht der aufgehenden Sonne. Es ist traumhaft, deshalb laufen wir genau hier her. Jedoch: Weil man von hier oben aber so einen guten Blick auf die Stadt hat, hatten sich hier vor gut zwanzig Jahren aber auch die Scharfschützen postiert und erschossen Zivilisten. An manchen Tagen feuerten die serbischen Streitkräfte bis zu 500 Granaten pro Stunde auf die Stadt. Sarajevo wurde 44 qualvolle Monate belagert, dies war die längste Blockade einer Stadt im 20. Jahrhundert. Über 10.000 Bewohner wurden getötet, darunter 1600 Kinder. Ungefähr 50.000 wurden verletzt. So viel zur Statistik.

Diese Statistik bekommt eine andere Bedeutung, wenn man hier ist, mit jemandem läuft, der berichtet, wie er als 14-Jähriger immer so viele Leichen gesehen hat, wenn er Wasser für die Familie geholt hat. Und dass er nie wusste, ob er überhaupt selber wieder nach Hause kommt oder einer der Scharfschützen ihn auch erwischt: „Das war wie eine Lotterie“. Als wir später wieder unten im Stadtzentrum sind, sehe ich auf zahlreichen Häusern Unmengen von Einschusslöchern.

Erol konnte im zweiten Jahr der Belagerung nach Paris fliehen, wo er zur Schule ging und später auch studiert hat. Seine Eltern und Geschwister haben auch überlebt, sein Vater als Arzt im belagerten Sarajevo. Erol ist zurückgekehrt in seine Heimat, neben seiner Arbeit an der britischen Botschaft hat er die NGO Sarajevo Marathon ins Leben gerufen. Seit 2007 organisiert er einen Halbmarathon. Damals waren gut Hundert Läufer am Start, 2014 waren mehr als 1200 Läuferinnen und Läufer aus 32 Ländern dabei. Am 20. September findet der Halbmarathon dieses Jahr statt, ein Lauf durch die Geschichte dieser Stadt. Am 13. September gibt es außerdem einen Frauenlauf.

Erol schenkt mir ein T-Shirt des letzten Sarajevo Halbmarathons. Ich werde sehr gerne in München Reklame für seine Veranstaltung laufen. Freunde von ihm organisieren dieses Jahr zum ersten Mal den Jahorina Ultra Trail. Am ersten August-Wochenende können hier Distanzen zwischen 10 und 100 Kilometern in den Bergen rund um Sarajevo gelaufen werden. Die 34-Kilometer-Strecke startet in Sarajevo.

Als wir nach knappen eineinhalb Stunden wieder durch das Zentrum laufen, ist hier alles zum Leben erwacht. Es ist voll, Menschen eilen durch die Straßen. Viele junge Leute sind hier unterwegs, die Universitätsstadt hat unzählige Bars und Straßencafés, ein reiches kulturelles Leben. Und den Lauftreff von Erol, wo immer mehr Leute sich einfinden und abends gemeinsam laufen, um gemeinsam für den Halbmarathon zu trainieren.

Dieser Lauf war sehr intensiv, wunderschön und zugleich eine sehr widersprüchliche und anstrengende Erfahrung. Ich werde noch lange darüber nachdenken. Aber sicher werde ich in diese inzwischen wieder pulsierende, lebhafte und so schöne Stadt auch wieder zurückkehren. Mal sehen, ob zum Ultratrail oder zum Halbmarathon. Ich muss mir schließlich noch ein Finishershirt erlaufen, das letzte habe ich geschenkt bekommen.

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Das bin ich

Dr. Andrea Löw, Historikerin und leidenschaftliche Läuferin. Hier nehme ich euch auf meine Laufabenteuer und Reisen mit.

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